Zentrale Handlungsfelder zur Gewinnung der Next Gen

 1. Entwicklung neuer Vorsorgestrategien

Das Zukunfts- und Altersvorsorge war in Deutschland jahrzehntelang ein Synonym für Lebensversicherungspro­dukte. Die Zeiten haben sich aber dramatisch verändert. Die Next Gen (Gen Y [*1981 bis 1996] und Gen Z [*1997 bis 2012]) hat signifikant andere Vorstellungen von Vor­sorge als die bisher dominierenden Kernzielgruppen der Lebensversicherung (Baby Boomer [*1946 bis 1964] und Gen X [*1965 bis 1980]). Und Lebensversicherungen ste­hen zunehmend in Konkurrenz zu anderen Anlageformen, insbesondere Investmentfonds und Exchange Traded Funds (ETFs).

Die Lebensversicherungsbranche muss neue Strategien entwickeln, um auch zukünftig erfolgreich zu sein. Denn schon bald werden die Gen Y und die Gen Z die Generatio­nen mit der dominierenden Arbeits- und Kaufkraft sein und sind damit eine sehr wichtige und interessante Zielgruppe für die Assekuranz. Bestehende Produktangebote und Anspra­chestrategien entsprechen immer seltener dem Konsummus­ter der Next Gen, weil diese ganz andere Werte und Lebens­vorstellungen besitzt als die Generationen vor ihr. So sind zum Beispiel die Lebensläufe der Next Gen aufgrund von Sabbaticals, flexiblen Arbeitsmodellen (Stichwort: Gig Eco­nomy) und Elternzeit nicht mehr so linear wie bei den Baby Boomern und der Gen X. Große Bedeutung für die Next Gen haben Convenience, Flexibilität, Digitalisierung, Transparenz, Personalisierung und Nachhaltigkeit. Diese Bedürfnisse müs­sen von der Lebensversicherungsbranche erfüllt werden, um die Next Gen als Kunden zu erreichen und zu halten.

Um die Bedürfnisse der Next Gen gezielt ansprechen zu können, müssen sich die Lebensversicherer und ihre Ver­triebe im Rahmen eines digitalisierten und datengestützten Geschäftsmodells neu organisieren, das Produktportfolio an­passen und die Vertriebs-, Ansprache- und Abschlussformen modernisieren. Es geht um ein neues Kundenerlebnis und mehr Nähe zum Kunden (siehe auch „Näher am Kunden“, Versicherungswirtschaft 07.2020, 75. Jg., S. 24-27). Bei der Next Gen werden diejenigen Versicherer punkten, die auf Basis der individuellen Kundeninformationen und Vertriebs­zugänge maßgeschneiderte Produkte und Services anbieten.

2. Vorsorge neu denken, zentrale Handlungsfelder

Aus Consileon Projekterfahrungen ergeben sich vier zentrale Handlungsfelder, mit denen Lebensversicherer die Next Gen im Bereich Vorsorge erreichen und wachsen können:

Digitalisierung und KI-gestützte Data Analytics

Die Next Gen interagiert bevorzugt digital und damit steigt die Menge und Qualität an verfügbaren Informationen und Daten sehr stark an. Als Gegenleistung erwartet die Next Gen individuell zugeschnittene und personalisierte Produkt- und Lösungsangebote auf Basis dieser Daten. Für die Assekuranz sind Digitalisierung, KI-gestützte Data Analytics und Custo­mer Excellence entscheidend für die vertriebliche Nutzung der gesammelten Daten bei der Next Gen. Nur so können die Angehörigen der Next Gen unserer Erfahrung nach als Vor­sorgekunden gewonnen werden (siehe auch „Die Zukunft beginnt heute“, Versicherungswirtschaft 11.2022, 77. Jg., S. 52-53). Ein Best Practice Beispiel hierfür ist die Zurich Gruppe Deutschland, die ihren Kunden mittels Data Analytics präzise auf ihre Bedürfnisse maßgeschneiderte und personalisierte Produktangebote zur Verfügung stellt.

Wichtig für die Digitalisierung der Touchpoints mit der Next Gen ist die digitale Aktivierung des Kunden, d.h. die Einholung der Einwilligungserklärung (EWE) des Kunden zur digitalen Interaktion (auch Opt-In). Diese ist unerlässlich, um mit den Kunden digital kommunizieren zu dürfen (Stichwort: DSGVO). Die Projektpraxis bei verschiedenen Top 10 Versicherern zeigt: Eine rasche Steigerung der Zustimmungs­quote kann mit einem konsequenten Umsetzungsmanage­ment erreicht werden und ist keine Rocket Science.

Digitale Vernetzung aller Geschäfts-und Vertriebsprozesse

Zur Steigerung des Kundenerlebnisses der Next Gen ist auch eine Weiterentwicklung der Geschäfts-, Service- und Vertriebsprozesse notwendig. Die Next Gen ist aus anderen Branchen digitale Beratungs- und Abschlussformen gewöhnt und hat diese aufgrund der Convenience und Flexibilität schätzen gelernt. Daher erwartet sie diese digitalen Zugänge auch von Lebensversicherern – ebenso wie die Möglichkeit, je nach Situation die Kanäle (digitale und analoge) zu wech­seln.

Wenn Versicherer die Next Gen von ihren Vorsorgepro­dukten überzeugen wollen, dann müssen Beratung und Vertrieb flexibel und convenient sein. Konkret sollten umfas­sende digitale Vertriebs- und Betreuungsformen geschaffen werden, die mit den bestehenden analogen Vertriebs- und Betreuungsformen eng und effektiv verzahnt sind (soge­nannte hybride Betreuung bzw. hybrider Vertrieb). Weiter­hin sollten Prozesse möglichst digitalisiert und automatisiert werden. Damit kann die Next Gen bedürfnisgerecht betreut werden, ohne die bestehenden Kundengruppen zu vernach­lässigen. Zum Beispiel hat Ergo dies mit der Einführung des „Hybriden Geschäftsmodells“ meisterhaft umgesetzt.

Automatisiertes Leadmanagement

Die Next Gen erwarten individualisierte digitale Kommuni­kation kombiniert mit personalisierten Vorsorgeangeboten. Diese Erwartungshaltung können Versicherer mit einem au­tomatisierten Leadmanagement erfüllen. Hierbei handelt es sich um automatisch generierte, ereignisgesteuerte und indi­vidualisierte digitale Nachrichten an die Kunden (z. B. eMails oder Push Notifications). Diese enthalten ein personalisiertes Vorsorgeangebot für den Kunden (Next Best Offer) auf Basis seiner individuellen Vorsorgesituation in Kombination mit di­gitalen Abschluss- und Responsemöglichkeiten (Rückrufbut­ton, Verlinkung mit Websites, [Video-]Chat etc.).

Mit einem effektiven Leadmanagement kann der Absatz signifikant gesteigert werden, insbesondere über Cross Sel­ling im Kundenbestand. Als gute Best Practice Beispiele sind hier primär Baloise und Helvetia zu nennen, die dieses Inst­rumentarium sehr erfolgreich zur vertrieblichen Kundenansprache nutzen.

Flexibles, bedürfnisgerechtes und nachhaltiges Vorsorgeproduktportfolio

Der Bedarf an Altersvorsorge und die Absicherung von Le­bensrisiken (insbesondere der Langlebigkeit) ist auch bei der Next Gen hoch. Und die Bedeutung privater Vorsorge steigt mit der zunehmenden Flexibilisierung von Arbeitsmodellen. Insbesondere die zunehmende Digitalisierung der Arbeits­welt und die Ausdehnung der Gig Economy bringen neue Arbeitsformen mit neuen Vorsorgebedürfnissen hervor. Dar­über hinaus erwartet die Next Gen neben nachhaltigen Pro­dukten sowie Preis- und Kostentransparenz eine hohe Flexi­bilität in der Anspar- und Auszahlungsphase aufgrund der Langfristigkeit der Vorsorgeverträge.

Die Assekuranz benötigt einfache, nachvollziehbare Vor­sorge- und Anlagekonzepte, bei denen die Kunden flexi­bel ein- und auszahlen und die Anlagestruktur bei Bedarf eigenständig online verändern können. Idealerweise wird die Flexibilität von Fonds und ETFs mit der Sicherheit von Lebensversicherungen kombiniert. Zur Schaffung von Trans­parenz sollten die Angehörigen der Next Gen stets online oder mobil über Stand, Entwicklung und Zusammensetzung ihrer Vorsorgelösung informiert werden. Eine kleine Zahl von Versicherern hat bereits sehr vielversprechende digitale und flexible Produktangebote am Markt. Als Best Practices zu nennen sind hier insbesondere Allianz mit ihrer flexiblen und voll digitalen Altersvorsorge Fourmore und R+V mit der AnsparKombi Safe+Smart.

Last, but not least bedarf es eines umfassenden Angebots nachhaltiger Vorsorgelösungen, um die Next Gen zu über­zeugen. Ohne ein auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Produkt­portfolio und ein ökologisch und sozial korrektes Verhalten werden die Lebensversicherer bei der Next Gent nur begrenzt Wachstum realisieren (siehe auch „Eine grünere Positionie­rung ist nicht umsonst zu haben“, Versicherungswirtschaft 09.2022, 77. Jg., S. 84-87). Einige wenige Versicherer haben das Thema aufgenommen und bieten konsequent nachhal­tige Vorsorgelösungen an. Ein Vorreiter ist zum Beispiel die Pangaea Life plusrente von der Bayerischen mit ihrem Invest­ment in erneuerbaren Energien und nachhaltigen Immobili­en. Analysen von Consileon zeigen ein immer größer werdendes Spektrum an Impact Investing Möglichkeiten. Diese werden außer auf Kundenseite auch eine höhere Relevanz bei der Kapitalanlage der Versicherer haben.

3. Ausblick

Die Lebensversicherer müssen Vorsorge konsequent neu denken und die Anforderungen der Next Gen nach Con­venience, Flexibilität, Digitalisierung, Transparenz, Persona­lisierung und Nachhaltigkeit erfüllen. Nur dann werden sie Marktanteile behaupten und gewinnen können. Die hier aufgezeigten Handlungsfelder sind zentrale Schlüssel für den Erfolg der Versicherer im Vorsorgemarkt der Zukunft.

Best Practice Beispiele zeigen, dass einige Versicherer ihr Vorsorgegeschäft bereits ganz neu ausrichten und gestalten, um das notwendige Kundenerlebnis zu schaffen. Wir gehen davon aus, dass bis 2030 nur eine geringe Zahl an Lebens­versicherern das Vorsorgegeschäft national erfolgreich be­treiben werden. Auf Basis von Consileon Analysen werden sich neben der notwendigen Neuausrichtung des Geschäfts­felds auch die Steuerungs-KPIs für das Vorsorgegeschäft dy­namisch verändern.

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