Das Wunder vom Hudson

New York, 15. Januar 2009: Kurz nach dem Take-Off gerät der US Airways Flug 1549 in einen Vogelschwarm und verliert dadurch auf beiden Motoren Schub. Die Piloten beginnen unmittelbar mit der Abarbeitung der Checkliste für einen Neustart der Triebwerke – ohne Erfolg. Daraufhin setzt der Kapitän einen Notruf ab und beginnt im Gleitflug mit der Rückkehr nach LaGuardia.

Die Instrumententafel des A320 ist – wie bei allen modernen Flugzeugen – darauf ausgelegt, durch kluges Design die Bewältigung solcher Notfälle zu unterstützen. Wichtige Angaben wie die Geschwindigkeit oder die Lage des Flugzeugs sind in direktem Blickfeld der Piloten, zudem erleichtern Farbkodierungen die Aufnahme komplexer Daten. Wenige Minuten nach Abgabe des Notrufs gelingt den Piloten schließlich die Notwasserung im Hudson River.

Das sogenannte „Wunder vom Hudson“ ist ein exzellentes Beispiel für das Zusammenspiel von Mensch und Technik. Beide Piloten konnten mittels eines über Jahre optimierten Cockpit-Designs ihre Erfahrung schnell und effizient in Steuerungsimpulse umsetzen und so 155 Menschenleben retten. [1]

Auch wenn es in der Finanzdienstleistung nicht um Leben und Tod geht, macht es dennoch Sinn, sich analog zum Aufbau eines Flugzeug-Cockpits die Frage zu stellen: Welche relevanten Informationen sieht eine Kundenberaterin oder ein Kundenberater in kürzester Zeit? Welche Systeme unterstützen ihn/sie dabei? Wie schnell kann eine Beraterin oder ein Berater gut auf ein unvorhergesehenes Ereignis – z.B. einen spontanen Kundenanruf – reagieren?

Der Alptraum der Banken

Aufgrund unserer Beratungserfahrungen stellen wir fest, dass Kundenberaterinnen und Kundenberater oft nicht ausreichend unterstützt werden. Zu häufig arbeiten sie in einer fragmentierten Anwendungslandschaft, wobei sie sich in mehreren Systemen anmelden und beispielsweise Kundennummern mehrfach eingeben müssen. In vielen Unternehmen fehlt auch das Äquivalent des „Primary Flight Displays“: ein ganzheitlicher Überblick über die einzelne Kundin und den einzelnen Kunden sowie das Kundenbuch mit treffsicheren Alarmen und Hinweisen auf kritische Situationen.

Interessant ist, dass Finanzdienstleister dieses Thema erkannt haben – allerdings auf Ebene ihrer Kundinnen und Kunden. So war in den letzten Jahren zu beobachten, dass Online-Banking sowie Apps bei vielen Anbietern große Sprünge gemacht haben und heute in Bezug auf die Informationsdarstellung und Transaktionsabläufe den internen Anwendungen teilweise weit überlegen sind. Dies ist umso erstaunlicher, als doch die Mitarbeitenden die wertvollsten Produktionsfaktoren einer Bank sind.

Was macht jedoch den Alltag der Kundenberaterinnen und Kundenberater so komplex und weshalb ist es so schwer, sie umfassend mit effizienten Frontend-Systemen zu unterstützen?

Schnitzeljagd im (Berater-)Cockpit?

Kundenberaterinnen und Kundenberater im Private Banking / Wealth Management arbeiten in einem anspruchsvollen Umfeld. Sie werden kontinuierlich über verschiedene Kanäle mit einer Vielzahl von Mitteilungen, Aufgaben, Warnungen und Informationen konfrontiert, die sie unter hohem Zeitdruck qualifizieren und bearbeiten müssen. Zur Bewältigung der Tätigkeiten müssen mannigfaltige Systeme und Formulare genutzt sowie Abteilungen und Personen kontaktiert werden. Dabei werden weder die „Eingangsseite“ des Arbeitsplatzes – beispielsweise durch Vorstrukturierung und Filterung – noch die „Erledigungsseite“ – etwa durch klar definierte Workflows – konsequent unterstützt. Kurzum: In vielen Banken ist der systemische Unterstützungsgrad im Vergleich zur Komplexität des Geschäfts und des Qualitätsanspruchs deutlich zu gering.

Nicht nur fit, sondern FIT+!

Banken müssen die Komplexität für Kundenberaterinnen und Kundenberater verringern, um damit Kapazitäten freizusetzen und die Qualität der Kundeninteraktionen zu erhöhen. Das „FIT+“-Prinzip (Führen, Integrieren, Technisieren) von Consileon ist dabei ein in der Praxis erprobter Leitfaden zur Gestaltung von Beraterarbeitsplätzen:

Führen: Häufig vorkommende, mehrschrittige Tätigkeiten profitieren von einer technischen Führung. Dadurch wird sichergestellt, dass alle notwendigen Schritte durchlaufen werden. Zudem wird eine mitlaufende Dokumentation erlaubt.

Integrieren: Kundenberaterinnen und Kundenberater sollten mindestens 80 Prozent der für sie wichtigen Informationen und alle von der Organisation generierten Aufgaben in ihrem „Cockpit“ finden. Es gilt, die Informations-Holschuld der Beraterinnen und Berater in eine Bringschuld der Organisation umzuwandeln.

Technisieren: Der kluge Einsatz technischer Unterstützung schafft ein hohes Entlastungspotential. Es geht insbesondere um die Vernetzung von Systemen und die Strukturierung sowie Priorisierung von Tätigkeiten.

Das „+“ in FIT+ steht für das übergreifende Design und die Benutzerfreundlichkeit – die sogenannte „Usability“. Noch viel zu häufig entsteht nämlich der Eindruck, dass Endkunden-Interaktionspunkte liebevoll gestaltet werden, während interne Applikationen oftmals den Charme von vergangenen Terminalsystemen versprühen.

Beispiel „Führen“

Systeme generieren schon heute selbsttätig vor Kundengesprächen eine digitale Gesprächsmappe. Dies ist der Absprungpunkt in einen Vorbereitungsworkflow, in welchem Beraterinnen und Berater die Gesprächsmappe überprüfen, Gesprächsziele festlegen, etwaige Anlage- und Produktvorschläge erstellen und das Ergebnis in einer Agenda mit allen Anlagen festhalten. Das Ergebnis kann je nach Gesprächsformat geteilt und archiviert werden.

Beispiel „Integrieren“

Führende Banken integrieren Informationen zum Kundenbuch, zur einzelnen Kundin bzw. zum einzelnen Kunden und zu den wesentlichen Tätigkeiten in einem Cockpit. Beraterinnen und Berater erkennen direkt nach dem Anwendungsstart, bei welchen Kundinnen und Kunden im Portfolio eine Handlung notwendig ist. Das Cockpit ermöglicht ihnen direkt, die jeweilige Aktivität zu starten, und stellt sicher, dass der jeweilige Kontext in die Tätigkeit übernommen wird. Damit entfällt unter anderem die Mehrfacheingabe von Kundennummern. Das Cockpit ist konfigurierbar und zeigt allen Nutzerinnen und Nutzern genau das an, was für ihre Rolle erfolgskritisch ist.

Beispiel „Technisieren“

Heute existieren bereits Sprach-Transkriptions-Tools, die aufgenommene Kundentelefonate in Text übersetzen und die wichtigsten Punkte des Gespräches herausziehen und zusammenfassen. Die Kundenberaterinnen und Kundenberater können den Inhalt anschließend kurz redigieren und das Gesprächsprotokoll im CRM- oder Beratungssystem abspeichern. Der Zeitaufwand zur Gesprächsnachbereitung verkürzt sich um 30-50 Prozent, die Qualität des Protokolls wird aufgrund von Vollständigkeit und Standardisierung deutlich gesteigert.

Wie wird man „FIT+“?

Der erste Schritt besteht darin, zu erkennen, dass Investitionen in den Arbeitsplatz der Beraterinnen und Berater erforderlich sind. Sobald diese Entscheidung getroffen wurde, muss ein Cockpit konzipiert werden, das dem einleitenden Flugzeug-Beispiel entspricht. Die wesentlichen Fragen bei der Konzeption sind:

  1. Was müssen die Nutzerinnen und Nutzer in welcher Situation und in welcher Priorität sehen?
  2. Welche Handlungen oder Tätigkeiten ergeben sich aus den Informationen?

Die Beantwortung dieser Fragen erfordert eine gründliche Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Tätigkeiten der Nutzerinnen und Nutzer sowie den zugehörigen strategischen Aktivitäten. Aus unserer Projekterfahrung wissen wir, dass diese Übung oft interessante Erkenntnisse hervorbringt.

Im zweiten Schritt müssen die notwendigen Datenquellen für die Umsetzung des Konzepts identifiziert und ein technischer Sourcing-Plan entwickelt werden. In dieser Phase muss auch geklärt werden, ob und wie Kernprozesse bereits durch Workflows unterstützt werden.

Die Entwicklung beginnt oft mit einem sogenannten „Minimum Viable Product (MVP)“, das alle unverzichtbaren Basisfunktionalitäten bereitstellt (z.B. Kundenbuch, Einzelkundendarstellung, Aufgaben und Kalender sowie Absprung in Beratungsanwendungen, CRM usw.). Das MVP sollte bereits in der Ziel-Designsprache umgesetzt werden. In dieser Phase ist es nicht dramatisch, wenn aufgerufene Applikationen noch im herkömmlichen Design gehalten sind.

Auf das MVP folgt schließlich unter kontinuierlicher Einbindung der Anwenderinnen und Anwender eine Erweiterung des Cockpits entlang der Funktionalitäten, die den höchsten Nutzen versprechen. In dieser Phase beginnt auch die Anpassung weiterer Applikationen an die Designsprache des Portals. Am Ende sollten die Nutzerinnen und Nutzer idealerweise nicht bemerken, an welcher Stelle das Portal endet und an welcher Stelle die eingebetteten Applikationen beginnen.

Fazit

Jedes Institut ist individuell und jedes Geschäftsmodell ist unterschiedlich. Solange Menschen in der Kundeninteraktion eine Rolle spielen, gilt es, sie bestmöglich zu unterstützen. Hier kann an das einleitende Beispiel angeschlossen werden: Solange Flugzeuge nicht autonom fliegen, müssen Pilotinnen und Piloten befähigt werden, ihre Arbeit effizient und sicher auszuführen.

Auch Kundenberaterinnen und Kundenberater muss ein „Cockpit“ zur Verfügung gestellt werden, welches die richtige Information zur richtigen Zeit und in der korrekten Priorisierung anzeigt. Durch die schrittweise Implementierung zusammen mit den Anwenderinnen und Anwendern wird gewährleistet, dass nutzenstiftende Funktionalitäten schnell umgesetzt werden. Wir werben dafür, sich mit den Berater-Cockpits auseinanderzusetzen. Gerne unterstützen wir Sie mit unserer langjährigen und in der Praxis gewonnenen Erfahrung.


[1] Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2009 Notlandung im Hudson River: Heldenhaft ins Wasser gesetzt (faz.net), 16.01.2009