Trendfarbe Grün

Angesichts der Weltfinanzkrise, sich verschärfender sozialer Konflikte und der Gefahr eines globalen Ökozids will sich kein Finanz- oder Realunternehmen mehr nachsagen lassen, sein Geschäftsmodell sei nicht nachhaltig. Indes lernen die Zielgruppen, ernsthaftes Bemühen um Nachhaltigkeit von grün gefärbtem business as usual zu unterscheiden.

Allen voran die Kapitalmärkte hätten die Macht, nachhaltige Investitionen zu fördern, ja sogar den Klimawandel einzudämmen. Allerdings sind längst noch nicht alle Akteure gegen bloßes Greenwashing immun. Der Trend hin zu grünen Finanzprodukten ist dennoch (oder genau deshalb) ungebrochen. Wurden 2018 weltweit grüne Anleihen im Wert von 168,5 Milliarden US-Dollar ausgegeben, so lag das Volumen 2019 bei 263 Milliarden. Für 2020 werden bis zu 375 Milliarden erwartet.

Auch Institutionen und Institute des Finanzsystems verfolgen Green-Finance-Initiativen. So gehören sowohl die BaFin wie die Bundesbank zu den Gründern des „Network for Greening the Financial System“, das die Folgen des Klimawandels für den Finanzsektor analysiert und Kapitalströme in ein kohlenstoffarmes Wirtschaftswachstum lenkt. Eine zunehmende Zahl grüner Banken investiert nach ökologischen und ethischen Kriterien.

Doch was trägt dieser Markttrend zum Umweltschutz bei? Wie vertrauenswürdig sind solche Finanzprodukte? Solange die Verwendung von Attributen wie nachhaltig oder grün im Belieben des Anbieters steht, sollten Investoren Vorsicht walten lassen. Wer sich der ökologischen Nachhaltigkeit eines Investments sicher sein möchte, darf sich nicht allein auf ein grünes Rating verlassen.

Fehlender Maßstab

Ein Hauptproblem bei der Wahl eines grünen Finanzprodukts ist das Fehlen eines anerkannten Bewertungsmaßstabs, der sich auf alle Assetklassen anwenden ließe. Mit ihrem Vorschlag zur Einführung eines europäischen Green-Bond-Standards möchte die EU-Kommission die Effektivität, Transparenz, Vergleichbarkeit und Glaubwürdigkeit des Marktes für grüne Anleihen verbessern und dessen Akteure ermutigen, solche Papiere auszugeben beziehungsweise darin zu investieren.

Das Brussels European & Global Economic Laboratory (Bruegel), ein von europäischen Staaten, Banken und Realunternehmen getragener Thinktank, gibt der Kommission zu bedenken, die von ihr angestrebte, umfassende Taxonomie müsse flexibel genug sein, um der Komplexität und Dynamik des Marktes gerecht zu werden. Mithin sind die Zielgruppen des Standards gefordert, miteinander auszuhandeln, wie verbindlich die Vorschriften zu grünen Finanzprodukten sein dürfen und müssen, damit sie weder allzu hohe Hürden setzen noch Schlupflöcher bieten. Zu entscheiden ist auch, welchen Institutionen die Formulierung des Standards obliegen soll, wie er technisch umgesetzt wird und was private Investoren dazu beitragen können.

Durch die grüne Brille

Nicht nur das Fehlen eines Standards erschwert die Beurteilung der Umweltrelevanz von Geschäftsmodellen und Anlageprodukten. Daneben besteht ein strukturelles Informationsdefizit: Kaum ein Unternehmen publiziert zu Nachhaltigkeitskriterien wie Ressourcenverbrauch, Schadstoffausstoß oder Lieferkette genügend Informationen, um daraus komparative Kennzahlen abzuleiten. Darum verlassen sich potenzielle Investoren bei der Einschätzung der Ökobilanz eines Unternehmens oder Finanzprodukts meist auf Analysten.

Amerikanische Finanzwissenschaftler haben solche Analystenmeinungen untersucht. Ihre Ergebnisse begründen Zweifel daran, dass die Marktbeobachter immer richtig liegen. Unter anderem stellten die Forscher fest, dass Analysten bei der Prognose von Aktienkursen umso mehr zu kognitiver Verzerrung und Optimismus neigen, je schwieriger sich die Vorhersage gestaltet. Eine andere Studie hat gezeigt, dass Analysten das gesellschaftliche Handeln von Unternehmen tendenziell mit zweierlei Maß messen: Verbesserungen werden eher registriert als Versäumnisse.

Hinzu kommen universelle kognitive Mechanismen, die es dem Menschen schwer machen, objektiv zu urteilen, darunter der Ankereffekt: Beim Schätzen und Entscheiden orientieren wir uns unbewusst an sogenannten Ankern – assoziierten Gedächtnisinhalten oder Informationen aus dem Kontext. Diese wirken selbst dann, wenn sie faktisch irrelevant oder objektiv falsch sind. So kann ein verfestigtes grünes Image unabhängig von der tatsächlichen Ökobilanz eines Unternehmens das Urteil der Analysten trüben. Ein ähnlicher Denkfehler ist die Verfügbarkeitsheuristik: Wenn exakte Daten fehlen, taxieren wir die Häufigkeit oder Wahrscheinlichkeit eines Sachverhalts oder Ereignisses nach der Präsenz einschlägiger Informationen im Gedächtnis, in den Massenmedien oder einer anderen leicht zugänglichen Quelle. So kann ein aktuelles grünes Vorzeigeprojekt einen Unternehmensanalysten dazu veranlassen, den Umweltskandal des letzten Jahres außer Acht zu lassen.

Intransparenz und Verzerrung

Zwischenbilanz: Die Bewertung grüner Finanzprodukte unterliegt kognitiver Verzerrung und Intransparenz. Bevor solche Produkte auf den Markt kommen, legen ihre Emittenten sie in der Regel einem externen Dienstleister, etwa einer Ratingagentur, zur Prüfung vor. Für potenzielle Investoren ist es jedoch schwierig nachzuvollziehen, welche Kriterien dabei den Ausschlag geben.

Selbst wenn ein offizieller Weltstandard zur Bewertung nachhaltiger Geldanlagen eingeführt würde und sich als zuverlässig erwiese, würde kaum eine Agentur die Beobachtungen und Berechnungen veröffentlichen, auf denen die Note im Einzelfall beruht. Und selbst wenn diese Daten einsehbar wären, läge die Entscheidung weiterhin bei einem Ausschuss, dessen Mitglieder Interessen vertreten, ergo voreingenommen sind. Doch nicht nur aus Sicht der Weltbank kann der Markt für grüne Anleihen auf Dauer nur wachsen, wenn er transparenter wird. Auch Michael Wilkins, Analyst für Infrastrukturfinanzierung bei S&P, konstatiert: „Green Bonds sind noch Neuland. Wie sie sich weiterentwickeln, hängt in hohem Maße von der Glaubwürdigkeit der emittierenden Unternehmen und von den Standards ab, die sie setzen und einhalten.“

Unser Ansatz

Der Zustand der Welt erfordert ein Umdenken. Consileon geht dabei voran. Unsere Experten erschließen Erkenntnisquellen, werten deren Informationen mit bewährten und neuen Methoden vom Datamining bis zur künstlichen Intelligenz aus und vernetzen sie sowohl miteinander wie mit aktuellem Fachwissen. Echtzeit-Meinungsanalysen zeigen, was die Zielgruppen gerade beschäftigt. Mit Methoden und Werkzeugen der Computerlinguistik (natural language processing, NLP) lassen sich beispielsweise Reden auf Vorstandsebene oder Investorentreffen auswerten. KI-Anwendungen kann man darauf trainieren, Diskrepanzen zwischen der öffentlichen Kommunikation eines Unternehmens und seinem Handeln zu erkennen. Speziell für Analysten entwickelte Tools tragen dazu bei, kognitiv verzerrte Entscheidungen zu vermeiden, indem sie Informationen aufspüren, die Vorurteile oder Denkmuster in Frage stellen.

Eine Klassifikation, die den ökologischen Mehrwert grüner Finanzprodukte realistisch einordnet, wird dringend gebraucht. Um unseren Klienten zu helfen, die Chancen des wirtschaftlichen und sozioökologischen Wandels wahrzunehmen, beobachten wir die Entwicklung von Geschäftsmodellen und Produkten, die finanziellen Gewinn mit dem Schutz der Umwelt in Einklang bringen, sehr genau und wirken in vielen Projekten daran mit. Haben Sie Fragen oder möchten Sie die ökologische Kompetenz Ihres Unternehmens erweitern? Dann freuen wir uns auf Ihre Nachricht. Mehr zu unseren Leistungen für Akteure des Kapitalmarktes unter: consileon.de/branchen/kapitalmaerkte